«Wir haben vermutlich dreimal so viel Selbstbewusstsein wie Falco»

Bild: Elizaveta Porodina

Bilderbuch gehören zurzeit zu den erfolgreichsten Musikexporten aus Österreich. Wir haben Maurice und Michael getroffen. Ein Gespräch über «Magic Life», den Austropop-Hype und die Zerbrechlichkeit des Kapitalismus.

Wenn Bilderbuch eine Konstante haben, ist es die Veränderung. Die Band aus Österreich erfindet sich mit jedem Album neu. Die vier Musiker surfen auf der Austropop-Welle mit, ohne wirklich Austropop zu machen. Sie radikalisieren wie kaum eine andere Band ihren Sound, treiben ihr Spiel auf die Spitze.

Das macht die Musik von Bilderbuch zwar nicht zugänglicher, aber umso spannender. Ein faszinierendes Gemisch aus Erotik, Plastik und Organischem. Vermutlich gibt es keine andere Band, die den Zeitgeist der Generation Y gekonnter verkörpert.

«Strangeness ist wichtig, um etwas zu schaffen, das unique ist»

«Magic Life ist wie ein Tropfen, der vierzig Minuten lang fällt. Und dann… musst du ihn nochmals fallen.» Sänger Maurice Ernst sitzt in der Lounge des legendären Kaufleuten. Die wasserstoffblonde Tolle leuchtet, die Augen blitzen aufgeweckt. Neben ihm versinkt Gitarrist Michael Krammer – lange Haare und orange lackierte Fingernägel – in der Couch. Die beiden Musiker sind in Zürich, um die Werbetrommel für ihr neustes Album Magic Life zu rühren.

«Es ist ein sehr klassisches Album», meint Maurice. «Aber eines, das sich auch dramaturgische Freiheiten nimmt. Manchmal gipfelt es in einem Pop-Moment, dann kommt wieder ein minutenlanges Gitarrensolo. Ich begreife Magic Life als Gesamtlandschaft.»

Es scheint unmöglich, Bilderbuch vollumfänglich zu erfassen. Sie winden sich wie eine Forelle immer wieder aus dem vermeintlich festen Griff. Jedes ihrer vier Alben klingt, als sei in der Zwischenzeit die Band ausgewechselt worden. Als Gemeinsamkeit identifiziert man bloss die Abwesenheit typischer Pop-Strukturen.

Die scheinbare Strukturlosigkeit ihrer Songs erschafft aber etwas, dem es im Pop schmerzlich mangelt: Abenteuerlichkeit. «Die Menschen haben Wow-Momente, wenn die Brüche kommen. Unsere Musik wird erlebt und nicht nur nebenbei gespielt», sagt Michael nicht ohne Stolz.

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Eine totale Verweigerung von Strukturen findet dennoch nicht statt. Die Single Bungalow bedient sich durchaus beim klassischen Songschema. Doch: «Auch im Konventionellen kann man Kleinigkeiten ändern, gewisse Brüche machen und schafft dadurch ein bisserl ein stranges Songwriting», erklärt Maurice. «Strangeness ist wichtig, um etwas zu schaffen, das unique ist.»

Auch wenn es Maurice und Michael verneinen, scheint der Bruch eine Strategie zu sein, die aufgeht. Sie bewegen sich frei zwischen den Genres, mäandern über Grenzen hinweg und setzen harte Kontraste. Aber es ist eine Strategie, die eben nicht bewusst gesetzt wurde, sondern der Urtrieb der Band. «Wir würden es langweilig finden, wenn die Brüche nicht passieren täten. Wenn man etwas Klassisches hat, kann man es moderner machen, indem man es als Sample behandelt und pervers reincuttet», meint Maurice eloquent.

«Wir machen lieber unseren Scheiss»

Bilderbuch gehören seit 2015 zu den erfolgreichsten Exporten aus Österreich. Ihr Album Schick Schock landete an der Spitze der heimischen Charts, erreichte Platinstatus. Geschickt reiten sie auf der Austropop-Welle, angeführt durch Bands wie Wanda oder Bilderbuch selbst.

Genau betrachtet, ist es eine die pure Ironie, denn Bilderbuch spielen keinen Austropop. Sie beobachten den Hype mit einer Portion Skepsis. Maurice analysiert:

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«Man hat ein Selbstbewusstsein kreiert, es hat sich sehr positiv nach Aufbruch angefühlt. Jetzt schleicht sich ein selbstverliebter Ton ein. Acts wie Pizzera & Jaus oder Seiler und Speer werden auf die Austropop-Schiene gepresst. Es ist eine Art Austropop, von dem wir uns wieder etwas distanzieren und sagen: Nö, wir machen lieber unseren Scheiss.»

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Michael und Maurice benennen es zwar nicht direkt, aber es ist klar: Sie ekeln sich vor der «Traditions-Nostalgie-Welle», die aus dem ersten Hype entsprungen ist. Bilderbuch verkaufen kein Klischee – weder im österreichischen Sinn, noch im Bezug auf ihre eigene Musik.

Sie hätten problemlos eine «Schick Schock 2» produzieren können, aber «wenn es weiter aufgeht, dass wir von der Musik leben und Konzerte spielen können. Wenn wir besser werden und aus dem Vollen schöpfen können, ist es das Schönste, sich nicht an selbst auferlegten Regeln halten zu müssen». Man wäre mit dem Selbstplagiat in eine Sackgasse eingebogen, sinniert Maurice. «Der Gedanke, dass sich Bilderbuch wiederholen, macht mich nicht an», fügt Michael noch hinzu.

Momente einfangen

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«Mal schauen, wie lange wir die Veränderungen noch aushalten», gibt Maurice dann zu. Denn Veränderung sei ein grosser Kraftaufwand. Ihre planlose Art des Musikmachens zehrt Energie. Für Magic Life versammelten sie gut 20 Demos: vom melancholischeren I love Stress bis zum zerbrechlichen Sweetlove bis zu den Blitzgewittern, die klingen, als hätte man Schick Schock noch mehr ausgezuckert.

«Unsere Songs entstehen in den verschiedensten Konstellationen», erzählt Michael. «Jeder haut etwas in den Top. Sweetlove war erst nur eine Gitarrendemo. Maurice gefiel es und legte sofort einen Text drüber. Dann war der Song praktisch fertig.»

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«Wir haben auf Magic Life versucht, Momente einzufangen, die uns selbst nicht bewusst waren. Von denen wir nicht dachten, sie könnten auf ein Album kommen. Baba 2 etwa ist ein Jam, der Soundcheck vor einer Idee», verrät Maurice. Das sei dann eine dramaturgische Entscheidung, mit der keiner gerecht habe. «Das mag ich an der Magic Life. Dass es viele Momente unterbewusst auf das Album geschafft haben, weil sie extrem close waren. Das vermisse ich ein bisserl an der aktuellen Musik: Die Künstler lassen dich zwar Fan-mässig sehr nahe ran. Aber keiner lässt in der Musik die Leute nah ran.»

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Maurice und Michael suchen mit Bilderbuch die Unmittelbarkeit. Bild: Janosch Tröhler

Bilderbuch sind nicht Falco

Immer wieder wird eine Verbindung zwischen Falco, dem Übervater des Austropop, und Bilderbuch gezogen. «Falco hat keinen grossen Einfluss auf unsere Musik», meint Maurice und Michael fügt an: «Seine Singles waren nicht die Inspiration, die mich in mein Musikerherz getroffen haben. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass er sich wie wir international bedient hat.»

Maurice erklärt sich die schnell gemachte Verbindung Falco-Bilderbuch in der Tatsache, dass Österreich nur diese eine Referenz im Popsektor hat. «Wenn du Österreicher bist und einen internationalen Ansatz in deiner Musik wählst, kommst du früher oder später in dasselbe Fahrwasser.»

Nach Maschin hätten alle gesagt, das sei Falco. Dabei habe er nie mit Kopfstimme gesungen, nie den Rockgroove aufgenommen. Aber Maurice hat verstanden, was die Leute meinen: «Es war dieses Selbstbewusstsein, den Lamborghini zu öffnen. Diese Frechheit, sich hinzustellen und zu sagen: Mir ist das jetzt Wurscht. Das eint uns.»

Bilderbuch machen sich auf, mit Statussymbolen zu kokettieren, sie zu unterlaufen und zerbrechen zu lassen. «Im Grunde ist das einfach Hip-Hop. Also müsste man sagen, alles was Hip-Hop ist, ist auch Falco: Alles, was ein bisserl angibt und selbstbewusst ist.»

«Falco war ein Würstl»

Es ist vielleicht eine österreichische Eigenart, dass sich ein mangelndes und übertriebenes Selbstbewusstsein die Hand geben. «Falco ist ein Schauspieler, überhaupt nicht echt», sagt Maurice. «Er versteckte sich, hatte gar kein Selbstbewusstsein. Wir haben wahrscheinlich dreimal so viel Selbstbewusstsein wie Falco. Das ist einfach Fakt.»

Maurice verfällt in seinen angeregten Ausführungen: «Wir haben keine Angst vor dem Business, werden nicht von den Drogen geschluckt, haben ein soziales Leben. Wir wissen, dass wir das können. Das ist Selbstbewusstsein, gesundes Selbstbewusstsein.» Und dann versetzt er dem Falco den finalen Schlag: «Falco war ein bisserl ein Würstl. Er ist einfach nicht mehr in die Balance gekommen zwischen dem, was er sein wollte und was er war. Das hat ihm am Schluss das Leben gekommen.»

«Die Zeitgeschichte hat uns einen Denkzettel verpasst» 

Bilderbuch suchen nicht das Schauspiel, sie suchen die Unmittelbarkeit. Ihre Musik klingt wie eine Mélange aus Party, Erotik und Zeitgeist. Das Leben in allen Facetten ist ihre Inspiration. Und eine, die sich auf Magic Life – wenn auch versteckt – durchaus politisch äussert. «Wenn man 2016 mit Mitte 20 aktiv gelebt hat, hat die Zeitgeschichte einem einen Denkzettel verpasst», sagt Maurice. Wenn man sich anmasse, Kultur, Kunst oder Musik zu machen, müsse man auf das Leben eingehen.

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Bild: Janosch Tröhler

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Während Schick Schock eine Überstilisierung des Lifestyles war, fühlt sich Magic Life direkter, intimer an. «In der Musik steckt das Gefühl, dass man bei der Entstehung hatte. Wir haben viel über Politik gesprochen. Das kam vorher nie vor», erzählt Maurice. Manchmal standen die Diskussionen sogar im Weg: Anstatt zu musizieren, redeten sie den ganzen Tag. Aber sie mussten sich mit den Themen, den Krisen auseinandersetzen, sie «wegkommunizieren» um weitermachen zu können.

Magic Life ist die Essenz eines Lebensgefühls der Generation Y, die in Sicherheit aufgewachsen ist, den Kalten Krieg nur aus dem Unterricht kennt und für die Freiheit eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Nun scheint die Welt um sie herum einzustürzen und sie stehen planlos da. Bilderbuch verzichten auf die Punk-Attitüde, konkret politische Botschaften zu verbreiten. Nein, sie greifen die Planlosigkeit in der Dramaturgie auf: «Was bedeutet Carpe/Diem, diese zerhackte Musik? Es wird schnell philosophisch», sagt Maurice.

Die Grenzen zwischen den Songs verschwinden, irgendwann verliert man die Übersicht: Ist das nun der siebte oder achte Song? Ist es ein Prelude oder ein Interlude? Wo bin ich? «Dieses Zerbrochene, dieses Fragmentarische, dieses Spiel mit dem Ungewissen – diese Idee trägt Magic Life», sagt Maurice weiter.

Die Ironie sei dabei ein gutes Stilmittel in der Präsentation, meint Maurice. Doch man müsse die Dinge ernst meinen, um sie wirklich zu treffen: «Wenn ich singe ‹Hol’ den Porsche aus der Garage› könnte man sagen, das sei ironisch, weil ich keinen Porsche habe. Aber eigentlich ist es die Überhöhung einer Vorstellung und somit todernst. Es ist eine Idee, die jeder nachvollziehen kann. Es verkörpert ein Lebensgefühl, ein Problem.»

Dann, ganz beiläufig am Ende, lässt Maurice das Thema von Magic Life durchblitzen: «Es ist etwas, worüber man singen muss: Die Zerbrechlichkeit des Kapitalismus.»

[su_button url=“https://archiv.archiv.negativewhite.ch/events/negative-white-praesentiert-bilderbuch/“ target=“blank“ style=“flat“ background=“#c60414″ radius=“0″ icon=“icon: volume-up“]Bilderbuch spielen am 28. März in Zürich. Mehr dazu hier…[/su_button]