Backstage bei Comaniac

Bild: Alea Wyss

Das «Böröm Pöm Pöm» holte am Samstagabend Comaniac und Sin Starlett auf die Bühne. Negative White war vor Ort und gammelte vor allem im Backstage herum. 

Comaniac-Gitarrist Valentin Moessinger hatte Glück im Unglück. Unglück, weil seine Gitarre den Geist aufgab, kaum dass die Band im Böröm Pöm Pöm war. Glück, weil seine Freundin – ihrerseits Metal-Gitarristin – noch zu Hause war, als er es bemerkte und ihm ein Ersatzinstrument bringen konnte. 

Ersatzgitarre im Zug gestimmt

Besagte Gitarre kommt aber vor allem bei Burning Witches zum Einsatz, und diese Gruppe spielt einen Halbton tiefer. Im ICE, der uns ans Konzert bringt, versucht Alea, das Instrument um zu stimmen.

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Mit dem Handy im Zug die Gitarre stimmen ist eher frustirierend denn fruchtbar. Bild: Evelyne Oberholzer

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Mit dem knorzigen Summen des fahrenden Zugs im Hintergrund und dem Stimmgerät in Form einer Handy-App ist das eine mehr als mühsame Aufgabe, die sich nicht vollenden lässt.  

Kaum sind wir im Club angekommen, zieht sich die Band in den Backstage-Raum zurück. Es ist ein kleiner, aber recht hoher Raum mit orangen Wänden und einer Couchgarnitur, bei der ein Modul nicht zu den andern passt. In der Ecke harrt eine kleine, unbesetzte Bar mit Getränken. Bier, Eistee und Orangensaft, auf dem Tisch stehen Snacks und Obst.  

Valentin beginnt, an der Gitarre herum zu schrauben. Es ist zwanzig Minuten bis zur Türöffnung. 

Frontmann Jonas Schmid holt ebenfalls seine Gitarre. Bassist Ray Weibel  doktert auf seinem Handy herum. Jonas spielt einen Lauf aus Hangar 18 und blickt Valentin auffordernd an. «Dasch e gueti Idee», sagt Valentin und spielt mit. Es klingt grauenhaft. Auf meine Frage erklärt er mir, das Tremolo sei zu fest angezogen.

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Valentin schraubt an der Gitarrenmechanik herum. Bild: Evelyne Oberholzer

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Für Nicht-Gitarristen: Ein Tremolo ist ein Hebel, mit dem sich die Tonhöhe beinflussen lässt, und mit dem das typische Piuiuing-Geräusch entsteht. Jonas spielt indes weiter, ohne Verzerrung klingt das Thema beinahe spanisch. Auch Ray beginnt nun zu spielen. Die drei unverstärkten Saiteninstrumente produzieren eine rasselnde Klangkulisse. 

Schliesslich erhebt sich Valentin mit den Worten, er müsse die Gitarre auf der Bühne ausprobieren. Jonas geht mit, Ray spielt derweil weiter, während Drummer Stefan Haeberli mit seinen Sticks auf seinen Oberschenkeln herum trommelt. Seine Freundin und Alea unterhalten sich derweil über Tatoos. 

Jonas und Valentin kommen zurück. Vor dem Backstage öffnet der Club seine Türen. Die Vorbereitungen liegen in den letzten Zügen. Jonas zieht sich um und attackiert Valentin mit Deo, Ray bindet sich das Stirnband um und Stefan klärt ab, ob es auf der Bühne Wasserflaschen hat. 

Comaniac-Konzert

Das «Böröm Pöm Pöm» ist mittlerweile ganz gut gefüllt. Alea und ich suchen uns einen guten Platz, den sie aber gleich wieder verlässt, um zu fotografieren. 

Comaniac legen derweil mit Coal los. Die Band wirkt vergnügt, und der Funke springt schnell über, auch wenn das «Böröm Pöm Pöm noch nicht richtig wach scheint. Nahtlos drischt die Bahnd mit dem nächsten Song los. Von den vorherigen Schwierigkeiten ist nichts zu hören. Valentin bewegt sich souverän auf der Bühne und tritt an Jonas Platz in der Mitte, als dieser an den linken Bühnenrand geht. Ein markant mit donnerndem Rhythmus strukturiertes, hymnenhaftes Solo endet in gebrüllten Lyrics.

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Der Frontmann bei der Arbeit. Bild: Alea Wyss

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Die Vocals bleiben rau. Der nächste Song setzt nach dem Intro genau so wütend ein. Die Stimme des Sängers ist knapp an der Grenze zum Growl, gerade noch genug melodiös um als Gesang durchzugehen. Im Publikum fliegen erste Haare, aber vornehmlich wird noch unaufgewärmt mitgenickt. Die erste Band hat immer einen schweren Start, und das Publikum wacht erst so langsam auf.

Jonas beendet den Song mit erhobener Faust und läst das Publikum kurz johlen, dann brüllt er «Comaniac», und der nächste Song setzt ein.

Es sind die baladesken Klänge von Shattered, das wie auf dem Album nahtlos in Heart of Stone übergeht. Wer die Band kennt, weiss, dass es nicht so gemütlich bleibt, und tatsächlich steigern sich die perlende Gitarrenheuler und wuchtige Schläge schnell zu akkustischen Hexenkessel, über dem Hauptstimme und Begleitgrowl vorwärts treiben, die für meinen Geschmack etwas lauter abgemischt sein könnte. 

Mit der Meinung stehe ich wohl ziemlich alleine da. Zwischen bangenden Metalheads steht ein Fan, der verzückt Luftgitarre spielt. 

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Die Musik verstummt und das Licht erlischt. Aber vorher gibts noch Applaus. Bild: Alea Wyss

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Die Zeit vergeht wie im Flug, das Konzert nähert sich auch schon dem Ende. Der Frontmann rührt fleissig die Werbetrommel: «Jetzt spilemer na zwei Songs vo eusem letschte Album. Return to the Wastelands. Giz am Merch  bide wunderschöne T-Shirts. Mir freued eus, eu det z träffe un deis mit eu z’suufe»

Diese letzten beiden, älteren Songs sind rauer. Jonas brüllt in Primatenhaltung los, die Zähne fröhlich gefletscht. Das Testestorongetue springt auf Ray über, der jedes Riff mit einem brachialen Ellenbogenruck beschliesst, ehe er sich hart bangend am vorderen Bühnenrand platziert. 

Comaniac beenden ihren Gig mit Cut Throad. Das Stück beginnt langsam, ein schleppender Rhythmus unter klingenden Gitarrentönen, der plötzlich voräwrts zieht, als sich einen neue Harmonie in die Melodie schleicht. 

Raymond und Valentin bangen Seite an Seite, der Gitarrist mit Duckface, der Bassist mit gebleckten Zähnen. Der Song endet mit fulminantem Geprügel und frenetischem Geschrammel von Valentin, während Ray und Jonas in Ironman-Pose dem Ende, das schliesslich in Form von Dunkelheit über sie bricht. 

Das Bühnenlicht ist erloschen, die vier Männer verschwinden durch den Publikumsbereich der Bühne. 

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Comaniac räumen ab. Bild: Alea Wyss

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Eine knappe Minute später sind sie wieder da, und mit ihnen erwacht etwas Licht auf der Bühne. Die Band macht sich ans Aufräumen, packen Kabel zusammen und lösen das Comaniac-Banner von der Wand. Dahinter hängt schon das der nächsten Band, Sin Starlett, bereit. 

Die Tiefen des «Böröm Pöm Pöm»

Die Location ist Teil eines verschachtelten Gebäudekomplexes, in dem sich an die zwanzig Bandräume und mindestens zwei Studios befinden – so genau scheint das von all denen, die ich darauf anspreche, keiner zu wissen. 

Abgesehen von einer Teenager-Halloweenparty finden in den Eingeweiden der Bauten auch Bandpropen statt. Valentin steigt die Treppen hinab um einen alten Musikerkollegen zu besuchen. Wir betreten einen Bandraum, steigen über Kabel und gelangen in einen kleinen Hangerbereich mit Sofas. Aus dem kurzen Schwatz wird ein längeres Sitzen. Irgendwo steht eine Gitarre herum. Als hätte er noch nicht genug gespielt, greift Valentin danach. Kurz danach übernimmt sie Alea. Man geht sich ein neu eingerichtetes Studio ansehen und hört sich die Aufnahmen der Kollegen an. Die Musiker beginnen zu fachsimpeln, sprechen über Aufnahmemethoden und Bassabdeckungen. Ich stehe im Hintergrund herum und verstehe nur Bahnhof. 

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Längsstreifen sind immer kleidsam. Bild: Alea Wyss

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Als wir wieder nach oben gehen, stehen Sin Starlett auf der Bühne. 

Der Frontmann trägt eine stilsichere Obelix-Hose, der Rest der Band ist nicht so herausgeputzt, aber insbesondere der Bassist strahlt wie ein Atommüllendlager. Die Band verbreitet gute Laune, das Publikum feiert mit. Der Sänger singt clean, teilweise mit schmetterndem Vibrato, und die Riffs über den rollenden Drums sind eingängig.

Immer wieder motiviert er das Publikum zum Mitmachen, das auch gehorsam die Fäuste in die Luft rammt und dazu «hoi hoi hoi» möhnt.

«Chömmer nachli Bier ha?» brüllt er ins Mikrofon. Als das Publikum lacht, doppelt er nach: «Mir händ Durscht.» Irgendwo entsteht Bewegung, vermutlich wird dem Mann tatsächlich ein Bier vorbereitet. «Mir fräsed emal wiiter», sagt er, und legt mit dem nächsten Song los. Ein thrashiges Intro bildet die Basis für eine langsamere Gesangspartie, die im Gegensatz zu vorher auf Brusthöhe bleibt. Der Gesamteindruck hat etwas Powermetaliges, was mir persönlich sehr gut gefällt. Der epische Moment währt allerdings nicht lange und diffundiert in Heavy Metal.

Zurück im Backstage-Bereich treffe ich Jonas und komme mit ihm und Valentin über das neue Album ins Gespräch. 

Interview über «Instruction for Destruction»

Negative White: Die Lyrics klingen philosphisch, teilweise auch poetisch. Formulierst du extra so offen?

Jonas Schmid: Ja. Ich versuche, die Lyrics eher auf Gefühle zu beziehen und nicht auf eine allgemeine Situation. 

Geht es bei Coal um Freiheit durch Selbstzerstörung?

Valentin Moessinger: Coal ist Emo-Thrash (lacht)

Jonas Schmid: Freiheit durch Selbstzerstörung ist ein Thema, das sich durch das ganze Album zieht. Coal geht um den Fall, der auf den Hochmut folgt. Die Reduktion auf das Elementare. Du findest zu dir selbst zurück durch den Zerfall. Der Background ist die Bandgeschichte. Ich stand vor einem Trümmerhaufen und wusste damals nicht, wie es weiter gehen soll. 

Ist Suborned Kapitalismuskritik?

Jonas Schmid: Ja. Du kannst es auf eine konkrete Situation beziehen. Stifte jemanden zu was an, das ihm nicht weiter hilft. Sag ihm, was du tun sollst. Bei Suborned ist speziell, dass der Song schon gegeben war.

«Heutzutage kann vieles dein Gott sein.»

Bow low klingt nach klassischer Religionskritik.

Jonas Schmid: Das liegt auf der Hand, ist aber nicht die einzige Bedeutung. Vieles kann heutzutage dein Gott sein. Das Wort ist spannend. Ein Gott kann dich im Griff haben oder dich prägen. Wir kreieren etwas in unseren Köpfen und gehorchen dann. Ein Gott kann etwas Gesellschaftliches oder Politisches sein.

Glaubst du an irgendwas?

Jonas Schmid: Nein. Ich finde das Thema sehr schwierig und setze mich nicht so damit auseinander.
Einige von Sin Starlett betreten bei diesen Worten den Bandraum. Der Sänger möhnt dazwischen, seine Religion sei saufen und kiffen – einfach alles ausser arbeiten. 

Geht es bei Guarding Ruins und How to end it all um deine Exfreundinnen?

Jonas Schmid: Nein. Guarding Ruins beschreibt das krampfhafte Bewahren von Dingen, die dem Untergang geweiht sind. Das lässt sich auch auf Beziehungen reduzieren. Du merkst, dass es nicht mehr weiter geht, aber du willst weiter machen. How to end it all ist dann die Antwort darauf. Wie schliesse ich damit ab.

Und bei Selfcontrol?

Jonas Schmid: Der Ursprung des Songs war es, mich zu sehen. Ich bin Lehrer, da musst du Selbstkontrolle an den Tag legen. Eine Lehrperson ist ein Vorbild. deine Kleidung muss neutral sein. Wieviel Selbstkontrolle muss sein, und wie stark kannst du dich selber sein?

«Ich bin Lehrer, da musst du Selbstkontrolle an den Tag legen.»

In Heart of Stone singst du, du hättest ein Herz aus Stein. Warum?

Jonas Schmid: Der Ursprung ist eine Schülerin von mir. Sie ist beinträchtigt und kann keine Beziehungen aufbauen. Du fängst jeden Tag wieder von vorne an. Beziehungen aufbauen und pflegen und merken, dass das eben nicht immer geht. Und die Frage, ob es sowas wie ein Herz aus Stein wirklich gibt. Das Versteinerungsthema kommt ja immer wieder, auch im Album-Artwork.

Worum geht es bei Forever More?

Jonas Schmid: Das ist der älteste Song des Albums. Da geht’s um die Band. Wer macht weiter mit, wer bleibt zurück. Dienst du einem Zweck oder eigenen Bedürfnissen?

Instruction for Destruction klingt, als wäre dies das Ergebnis einer Erleuchtung, die den Betroffenen erst verstört, dann geläutert zurück lässt.

Jonas Schmid: Es geht eher um die Selbstzerstörung einer Person. Nicht unbedingt um mich, sondern eine fiktive Person. Warum und durch was sie sich zerstört  Jeder Song ist ein Aspekt dieser Zerstörung.  Fremdbestimmung, Religion, oder du stehst dir selbst im Weg. 

Ist die Zerstörung positiv? Zerstörung schafft freie Fläche und Rohmaterial, die einen Neuaufbau ermöglicht.

Jonas Schmid: Das ist die schöne Variante. Die hässliche ist, dass die Person danach einfach zerstört ist. Aber das ist offen. Das Ende des Songs legt nicht fest, wie die Story ausgeht.

Jepp, der Abend war zu fortgeschritten für gute Fotos. Tut uns aso schona leid. Bild: Evelyne Oberholzer

Während des Interviews sind nach und nach die restlichen Sin Starlett-Mitglieder herein getrudelt, haben sich eine Platz gesucht und sich ihren Getränken und gegebenenfalls Zigaretten gewidmet. 

Die Stimmung ist überdreht und gleichzeitig geplättet. Gespräche versanden immer wieder und branden genauso schnell laut und fröhlich auf. Eine Frau taucht mit einem Blech voller Muffins auf. Je später der Abend wird, desto weniger nachvollziehbar werden die Dialoge, und einzelne Ausrufe treiben Blüten wie: «Lüt mit Locke haltet zäme» oder «Gömmer is Puff».

Irgendwann, weit nach Mitternacht, kommt plötzlich wieder Bewegung in den Backstageraum. Die Musiker packen zusammen, verstauen Koffer und Instrumente in ihren Autos. 

Der Abend ist ausgeklungen. Was noch bleibt, ist die Heimreise. 

 

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