Nackt für die Kunst

Von Kunststudentinnen und Kunststudenten umzingelt zu sein, ist weird. Vor allem, wenn man nackt ist. Ich stehe Modell für eine Zeichnungsklasse. Wie es sich anfühlt, wenn der eigene Körper auf Papier interpretiert wird. Der Erfahrungsbericht einer Mutprobe.

Nackt für die Kunst

In einer Stunde werde ich mich ausziehen müssen. Ich versuche keine grosse Sache daraus zu machen und sage mir, dass ich einfach zur Arbeit gehe. Nackt bei der Arbeit?! Ich kann mir nichts vormachen. Nervös sitze ich im Zug und verspeise mein mageres Mittagessen. Denn bei aller Vorliebe für weibliche Rundungen: ein aufgeblähter Bauch muss heute nicht sein. Wieso ich das mache? Ich bin jung, brauche das Geld und die Zeichnungslehrerin ist eine Freundin von mir. Dann wurde ich angefragt und so entstand diese Herausforderung: Ein Selbstversuch als Aktmodell.

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«Bin ich mit all diesen etwas beängstigenden Gedanken die Richtige für diesen Job?»

Nackt. Für die Kunststudentinnen und Kunststudenten ist es nichts Neues einen Körper zu studieren, aber ich habe mich noch nie vor so vielen Menschen entblösst, die mich dann von allen Seiten anblicken. Ausserdem wuchs ich in einem Umfeld auf, wo Nacktheit einem Schamgefühl gleichkam. Bin ich mit all diesen etwas beängstigenden Gedanken die Richtige für diesen Job? Ja, denn ich freue mich und kann mir mein Lachen nicht verkneifen. Schon beim Gedanken an den Moment werde ich nervös. Der Kick in seiner reinsten Form.

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«Mein Herz rast nicht, mein Blick ist ernst und ich kann nichts verheimlichen – ich bin entblösst.»

Im Klassenzimmer angekommen sehe ich den umherschwirrenden Studentinnen und Studenten zu, wie sie ihre Malutensilien bereitstellen. Sie schieben Stühle umher, spitzen Bleistifte, holen Farben. Ich verziehe mich in ein kleines Nebenzimmer und erst als ich meine Unterhose ausziehe, fährt mir die ganze Aktion total ein. Mit einem Badetuch bedeckt komme ich raus und sehe den gebildeten Kreis von Malerinnen und Malern. In der Mitte steht die Zeichnungslehrerin, welche die letzten Anweisungen gibt. Mein Puls geht etwas schneller und ich habe immer noch keinen Schimmer, wie mein Körper auf die Blösse reagieren wird. Ich werde in die Mitte gerufen, mein Kopf schaltet ab und gehe die letzten Schritte umhüllt. Dann lege ich es ab und bin jetzt da, wo ich bin. Mein Herz rast nicht, mein Blick ist ernst und ich kann nichts verheimlichen – ich bin entblösst.

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Mir scheint als steht mir die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben und ich halte mich am einzigen fest, was mir übrig bleibt: meinen Hüften. Mein linke Hand stemme ich in die Seite und verschiebe mein Gewicht auf mein rechtes Bein. Ein kleines Namensschild an der Wand wird mein Fixpunkt und verharre in dieser Position. Die vielen Augenpaare, die ihren Blick zwischen dem Papier und meinem Körper wechseln, amüsieren mich.

Ich denke an Marina Abramović und ihre ausgefallenen und intensiven Performances und sage mir: «Lidija, das hier ist nichts dagegen.» Mein Atem wird langsam und ich beruhige mich. Ich war wesentlich nervöser, als mir zum ersten Mal eine Zunge in den Hals gesteckt wurde, ich zum ersten Mal «on air» im Radio sprach oder meine Mutter nach meinem ersten Mal ins Haus platzte.

Dann ist die Zeit bereits abgelaufen und ich ändere meine erste Position. Gerne würde ich an mir runterschauen, um mir meinen Busen anzusehen. Wie das jetzt wohl aussieht? Ich traue mich nicht und ausserdem bringt es nichts, wozu? Denn 30 Personen schauen ihn an, das ergibt 60 Versionen einer Brust. Das Ganze ist einfach seltsam. Das ideale Wort für diese Situation. Mir gefällt seltsam.

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«Mein Körper wird zur Spielfläche von Licht und Schatten.»

Meine Gedanken kreisen um die Kommentare der Lehrerin und ich gehe ihnen gedanklich nach. Wie sieht die geometrische Form meiner Schultern aus? Ich frage mich, was meine eingestemmte Hand für einen Einfluss auf meinen Körper hat, wie sich mein Schwerpunkt verlagert hat und welchen Umriss ich im Raum hinterlasse. Interessante Fragen, über die ich einige Zeit nachdenken und die Zeit vergessen kann. Der Scheinwerfer wird geholt und sitzend wird mein Körper zur Spielfläche von Licht und Schatten.

Die 90 Minuten vergehen wie im Flug. Ich löse meine letzte Position und währenddem die Studentinnen und Studenten bereits wieder umherschwirren und ihre Zeichnungen einsammeln, sitze ich noch da und kann nicht aufstehen. Mein angewinkeltes Bein ist eingeschlafen und ich rede mit meinen Zehen wie Uma Thurmann in Kill Bill.

Dann geht es langsam, ich strecke mich, wickle das Badetuch um meinen Körper und verschwinde wieder ins Nebenzimmer. Alles vorbei. Ich höre Stimmen vor der Türe, die sagen «Das war ein tolles Modell, so weich zum zeichnen!» Ich lache und denke: «Das mache ich wieder.»