Heisser Samstag

Für viele ist die Fetish-Party ein Highlight des WGTs. Andere werden mit dem Thema Sado-Maso nicht so warm – aber das WGT ist eine so riesige Veranstaltung, dass jeder auf seine Kosten kommt. Egal, ob die Erotik oder die Feuerkunst ihn wärmt. 

Eingang zur Obsession Bizarre (Foto: Christian Saladin)
Eingang zur Obsession Bizarre (Foto: Christian Saladin)

Obsession Bizarre

Gross ist das Interesse an der Fetischparty des Wave-Gotik-Treffens, und dementsprechend lang ist die Schlange vor dem Einlass. Man steht schon mal über zwei Stunden an, bevor man eingelassen wird. Wie uns einer der Besucher in der Warteschlange erzählt, sei dies eine der grössten Partys in Europa. Obwohl wir anderthalb Stunden anstehen, und es im Fetisch-Outfit nicht gerade warm ist, wird es beim Warten nicht langweilig, denn schon draussen findet eine Fetisch-Show statt. Da war eine riesige Fischskulptur, in der Leute aufgehängt wurden. Die Bondage-Show unterhielt die frierenden Wartenden. Der Sklave, der auf Geheiss der Domina herum kroch, wurde beinahe vom Taxi überfahren.

Es beginnt mit einem fernen Dröhnen, das an Walgesang erinnert. Dann schält sich der riesige Fisch aus der Dunkelheit, und ringsum tanzen und kriechen Leute. Ein Sklave versucht zu fliehen, die Domina fängt ihn ein und peitscht ihn aus. Ihre Schläge sind mehr simuliert denn rohe Brutalität, denn SM ist Spiel und keine Gewalt. An der Angel der Fischskulptur baumelt eine Frau, die an ihren Rückenpiercings aufgehängt wurde. Sie steckt in einem meerjungfrauhaften Kostüm.

Endlich erreichen wir den Eingang. Für Frauen ist der Eintritt einfacher – sex sells. Wer als Mädel nicht über das passende Outfit verfügt, kann sich auch einfach entblättern. Männer müssen sich in Lack, Leder oder Gummi kleiden oder sonst ein Kostüm wählen, dass ohne diese Materialen nach Kinky oder Machtgefälle aussieht – beispielsweise Imperator und Sklave. Wer nur in schwarzen Goth-Klamotten kommt, läuft Gefahr, nicht reingelassen zu werden. Unser Kumpel lässt sich von einer Bekannten an die Kette nehmen, damit er sicher reinkommt.

Und kaum sind wir drin, breitet sich die Spielwiese aus: Am Eingang steht ein Käfig für öffentliche Agitationen. Kondome, Desinfektionsmittel und Zewa-Rollen liegen en masse bereit. In der Mitte der Location befindet sich der Dancefloor, wo auch Shows stattfinden. Ringförmig darum erstreckt sich der Darkroom, der aus mehreren Kabinen besteht, die sich verschliessen lassen. Wer will, kann sie natürlich offen lassen. Manche stehen auf Zuschauer.

Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass Fotos nicht erlaubt sind, und dass man die Wünsche anderer Gäste respektieren soll – auch den nach einem privaten Spiel ohne Zuschauer. Dafür gibt es genug Öffentliches: In einer Ecke steht ein runder Pavillon mit durchsichtigen Vorhängen. In dem Pavillon steht ein rotes Bett und darüber eine Kamera. Das dort produzierte Filmmaterial wird gross auf einer Leinwand gezeigt. Porno-Kino mit dem Wissen darum, dass die Action gerade live im andern Raum stattfindet. Und sogar die Kamera war spielerisch: Sie zoomt und verpixelt und präsentiert ihr Bild immer wieder in Schwarz-Weiss.

Nicht fehlen darf natürlich der Pranger oder die Liege, auf der man seinen oder seine Sub festschnallen kann. Diese Folterwerkzeuge sind offen zugänglich, jeder Partygast darf zuschauen. Die Schlange vor dem Darkroom wird immer länger – irgendwann darf man ihn nur noch betreten, wenn jemand herauskommt. Die Geräusche, die aus dem privaten Areal dringen, kämpfen gegen die laute Musik im Hauptsaal an und verkünden auch jenen, die nicht in den Darkroom reinkamen, was dort so alles ablief. Ohne jetzt allzu sehr ins Detail zu gehen: Es klang nach mächtig viel Spass.

Die Location ist ein rundes Gebäude. Im zentralen, kuppelförmigen Raum ist der Dancefloor und die Showbühne. Vier Eingänge führen in den Aussenring, wo der Darkroom angesiedelt ist. Die Shows waren vielfältig: Die Weltmeisterin im Poledance trat mit ihrem Team auf und präsentierte atemberaubend Akrobatik. Eine andere Show zeigte ein drastisches Machtgefälle: Ein Mann im Metzger-Kostüm zerrt einen Menschen im Gummipuppenkostüm auf die Bühne. Die Puppe ist in Plastik eingepackt, die Szene erinnert an Dexter Morgan und seine Opfer. Nun packt der Metzger die Puppe aus und stellt sie auf. Der submissive Part ist so stark verkleidet, dass sein Geschlecht nicht erkennbar ist. Was folgt, ist eine sehr ästhetische Machtdemonstration: Der Metzger fesselt die Puppe und hängt sie an eine Marionettenkreuz. Diese Form der Dominanz ist so extrem, dass sie schon richtig abstrakt wirkt. Die beiden sind ein eingespieltes Team, obwohl die Bewegungen ruckhaft und abgehackt wirken, sind sie dennoch sehr präzise.

War diese Show schon gut, so ist die Letzte noch besser: Eine Tänzerin und eine Sängerin halten das Publikum in Atem. Die Tänzerin arbeitet mit Spannungsmomenten: Sie simuliert, als würde sie von der Stange fallen, und fängt sich im letzten Moment nochmal auf.

Die Fetischparty bietet was für alle Sinnen, und ist auch etwas für Leute, die nicht auf Sm stehen. Nur schon die Outfits sind ein Hingucker: Von Simpel bis wahnsinnig aufwändig war alles zu sehen: Lack und Leder, Bodypaint, Ganzkörperkostüme. Herren und Herrinnen, Sklaven und Zofen, Ponygirls und sogar eine Latex-Harley Quinn.

Einen kleinen Wehmutstrofen gab es: Obwohl ausdrückliches Foto-Verbot herrschte, hielten sich viele Leute nicht daran. Man kann Kameras konfiszieren, aber nicht alle Handys. Viele Leute können sich auch im Darkroom deswegen gehen lassen, weil sie glauben, dass das, was dort passiert, auch dort drin bleibt. Wird man dann doch fotografiert, ist das Vertrauen zerstört. Und damit auch die Erotik.

Ein Abend in der Moritzbastei

Am Sonnabend sorgt nicht nur die Fetischparty für heise Stimmung. In der Moritzbastei gibt es ein alternatives Programm.

Die Mortizbastei ist ein mittelalterliches Gemäuer, ein Überbleibsel von Leipzigs alter Stadtmauer. Unter dem Bodenniveau finden sich verwinkelte Gänge und Gewölbe. So schaurig, wie das klingt, ist es nicht, was nicht zuletzt dem leckeren Essen geschuldet ist, das dort serviert wird. Über den Katakomben, auf dem flachen Dach der Bastei, stehen Stände, die Schmuck und Kleidung feil bieten. Es gibt eine Bühne, auf der Mittelalter-Musik gespielt wird. Vor dieser Bühne liefert sich eine Gruppe Feuerkünstler einen Showkampf. Mit brennenden Äxten, Stöcken und Fackeln gehen sie aufeinander los, auf der Bühne hinter ihnen steht eine Mittelalterband. Nicht immer läuft alles wie geplant, einmal verliert ein Recke die Kontrolle über die Flamme. Die Axt wird zur Lohe und die Begleitmusik reduziert sich auf eine spöttisches Tröten. Dazwischen zeigen die Feuerkünstler Solo-Einlagen: Darunter ist Klassisches wie Feuerspucken oder Jonglage, aber auch eine sehr humorvolle Einlage, in der sich ein Mann mit Min-Fackeln die Achselhöhle rasiert. Die Band schafft stimmungsvolles Ambiente: Wilde, aufpeitschende Rhythmen bei den Kampfszenen, getragene Dudelsack- und Violinenstücke begleiten die Solokünstler.

Ein Feuerkünstler reisst brüllend die Aufmerksamkeit auf sich: «Ich kann es nicht leiden, wenn ich arbeiten muss, und ihr schon Feierabend habt. Also werde ich diesen brennenden Stab so schnell drehen, wie ihr klatschen könnt!» Prompt fängt das Publikum gnadenlos schnell an zu klatschen.

Eine Sekunde lang kann der Künstler das wahnwitzig Tempo einhalten, dann bricht er ab und brüllt, wir seien ja alle verrückt. Das Publikum lacht, und sein Kollege übernimmt die Show: Zu einer melancholischen Weise wird Feuer gespuckt. Grosse Flammen, kleine Flammen, Flammenstösse im Takt. Die Truppe liefert eine perfekte Mischung aus Spass, Entertainment und Mystik ab – dass es gerade eindunkelt,verstärkt die Magie des Augenblicks zusätzlich. Die Böen erschweren dafür den Job der Feuerspucker: mehrfach müssen sie sich umpositionieren, um mit ihren Lohen nicht Bühne oder Zuschauermenge abzufackeln.

Die beiden machen daraus eine Show: einer mimt den betrunkenen, der immer wieder zum Publikum torkelt und tut, als wolle er das Feuer in die Menge spucken – im letzten Moment dreht er sich in Windrichtung. Die Menge lacht und johlt.
Die Band heisst Heidenrausch, die Feuerspucker nennt sich Theatergruppe Das Geierlamm.

Feuershow auf der Moritzbastei
Feuer als einzige Lichtquelle: stimmungsvoller Auftritt von Geierlamm und Heidenrausch

Mit dem Einbruch der Nacht wird es empfindlich kühl – der von den Meteorologen angedrohte Temperatursturz hat nun das WGT erreicht, das doch noch zwei Tage Schonfrist hatte.

Viele Gäste gehen zwei Etagen tiefer, ins Gewölbe der Moritzbastei. In diesen verwinkelten Räumen riecht es nach den schweren Düften der Szene-Parfums, Wolken aus Patchouli und Sandelholz konkurrieren miteinander, müssen aber vor den Essensgerüchen kapitulieren. Man speist in Leipzig allgemein gut und die Moritzbastei bildet keine Ausnahme. Wer keinen Hunger verspürt, kann das Tanzbein schwingen: Die verwinkelten Gänge münden in grösseren Räumen, in denen Bässe wummern.

Wer sich nach ruhiger Geselligkeit sehnt, der findet draussen, im Innenhof der Bastei, ein gemütliches Plätzchen. Ein stilvolles Lichtkonzept zaubert eine märchenhafte Atmosphäre. Die Lampen sind so ausgerichtet, dass sie grossomodo die Pflanzen beleuchten. Das Restlicht taucht den Innenhof in warmes Gelb und weiche Schatten. Gruftis sitzen in kleinen Gruppen zusammen, trinken Cocktails oder Wein, rauchen Zigaretten oder – wie im Falle eines Steampunkers mit grauem Gehrock und kurzem Iro – auch eine Pfeife. Die Stimmung ist ruhig und fröhlich.