Christian von Aster im Gespräch

In den vergangenen Wochen las der deutsche Autor Christian von Aster zweimal in der Schweiz. Nachdem Negative White der Lesung in Zürich beiwohnte, beschlossen wir kurzerhand, ein Interview mit dem Wort-Dompteur zu machen. In Thun traf Fiona Styner von Aster vor seiner zweiten Lesung zum Gespräch.

Wie ist es mit Klett Cotta als Verlag?

Christian von Aster: Bei einem Verlag wie Klett Cotta wird man mit ganz anderen Dingen konfrontiert. Wenn man bespielsweise in einem kleinen Verlag ein Buch herausbringt, hat man vielleicht eine Auflage von 300 Exemplaren. Bei einem renommierten Verlag sind das dann entsprechend mehr, so das die Wahrnehmung sich verbreitert und es eben nicht mehr alles Fans sind. Wenn man als Autor dann im Netz solche Aussagen liest wie „Da waren mir viel zu viele Fremdwörter drin. Das war viel zu anstrengend,  da hat das Lesen gar keinen Spass mehr gemacht!“, dann fragt man sich auch, ob man sein Zielgruppe verfehlt hat.
Aber ich habe durch die Auseinandersetzung mit derartigen Kritiken verstehen gelernt, dass viele Menschen heutzutage so lesen, wie sie fern sehen. Es geht ihnen um leichte Unterhaltung, ein entspanntes Durchrauschen, am besten dabei noch ein wenig zappen. Das habe ich vorher nie so wahrgenommen.
Aber das ist wohl das, was man Mainstream nennt, in dem man sich treiben lassen kann, ohne Gefahr zu laufen in Stromschnellen zu geraten. Damals bei Eragon beispielsweise konnte man in den Buchhandlungen hüfthoch in Drachenromanen waten. Ich mag so etwas nicht. Dieses Bedienen von Mode-Erscheinungen bis zum gehtnichtmehr. Meine Antwort war eine dementsprechend garstige Drachengeschichte, für die manch Flugechsenfreund mich wohl gern gelyncht hätte. Aber so funktioniert es eben. Wie man auch an Dan Brown gesehen hat und dem halben Jahr nach llluminati, in dem alle Cover gleich ausgesehen haben und ein Thriller ohne schwarzes Cover und rotem Schriftzug beinahe undenkbar schien.

Genau wie bei der Bis(s)-Reihe. Und da ein Vampir und noch ein Vampir und der noch viel bessere Vampir; und jetzt noch ein Werwolf zum Schluss.

Exakt. Und genau darum schreibe ich jetzt gerade eine zauberhafte Geschichte fürs Stirnhirnhinterzimmer. Über eine Selbsthilfegruppe für literarischen Missbrauch. In dieser Selbsthilfegruppe sitzen ein Gestaltwandler, ein Vampir, ein Werwolf und der Kopflose Reiter und erzählen aus ihrem Leben.
Der Vampir arbeitet inzwischen als Callboy, und musste sich natürlich während des Aktes auch schon mal Glitter über den Kopf schütten. Man muss sich nur mal überlegen, was ein Vampir, ein unsterbliches Wesen, mit einer mittelmässig begabten Sterblichen anfangen können soll. Und dann wird schnell die Magie der projizierten Hausfrauenphantasie offenbar.
Der Körperwandler erzählt dann beispielsweise, wie er eine kräftige Gestalt annimmt, wenn er Kohlen in den 5. Stock hochschleppen muss. Aber doch nicht für irgend eine Olle!
Am Ende der Sitzung beschwert sich dann der Kopflose Reiter, dass ihn nie jemand küsst.
Und damit ist der romantische Missbrauch literarischer Figuren dann für mich auch erst mal abgehakt.
Twilight ist da schon sehr inspirierend. Gerade gestern hat mir ein Bekannter von seinen drei grössten Kinomomenten des letzten Jahres erzählt. Zwei davon hatten direkt mit Filmen zu tun. Der dritte aber bezog sich auf einen jungen Mann, der eine halbe Stunde vor Schluss eines Bis(s)-Films seine Freundin aus dem Kinosaal zerrt und schimpft: „Diesen Scheiss guck‘ ich mir nicht bis zum Ende an! Und du auch nicht!“ Köstlich…

Sowas soll vorkommen.

Sicher. Nur viel zu selten.
Es sind eben eingängige Geschichten, Motive die nicht anecken, der kleinste gemeinsame Nenner findet das größtmögliche Publikum. Im Kino wie in der Buchhandlung. Ob man das gutheisst, ist eine andere Sache.
Für mich persönlich ist ein Buch nicht dazu da, dir zu geben was du willst, sondern um dich zu fordern. Hast du von mir Zwerg und Überzwerg gelesen?

Nein, leider nicht. Der Letzte Schattenschnitzer war jetzt das Erste.

Der Verlag hat versucht, das Buch als Parodie auf Die Zwerge von Markus Heitz zu verkaufen. Bestseller parodieren ist eine vermeintliche sichere Nummer. Die große Erzferkelprophezeiung war allerdings etwas vollkommen eigenes, das bezüglich Eigenständigkeit und Komplexität eher in Richtung Terry Pratchett ging.
Und das ist persönlicher mein Fantasy-Ansatz. Klischees sind mir da zuwider. Und ich lasse mir nicht gerne sagen, wie Zwerge oder Elfen zu sein und wie sie miteinander umzugehen haben. Auch wenn sich auf dieser Basis vermutlich einige Bücher mehr verkaufen lassen.

Wie bei Tolkien. Man sieht es bei Der Herr der Ringe ja schön.

Tolkien muss man zugute halten, dass er das Ganze ja quasi erfunden und die Grenzen der Fantasy neu definiert hat. Und er hat dabei sicher nicht einmal geahnt, wie viele Autoren sich mal in seinen Fußstapfen wohlfühlen würden.
Und auch wenn ich manchen klassischen Zwerg schätze, habe ich mich bemüht, eine eigene Zwergen-Welt zu entwickeln. Und ich freue mich jedes Mal, wenn eingeschworene Fantasy-Fans auf mich zukommen und sagen: „Das war mal eine richtig geile Geschichte!“

Jetzt kommen auch noch ein paar Leute zur zweiten Lesung!

Oh ja, Publikum! Aber wieso seid ihr nicht bei Estampie? Muss ich gleich etwa doch noch lesen?

Wir hoffen es doch! Aber jetzt sag mal, wie bist du eigentlich zu der Idee vom Letzten Schattenschnitzer gekommen?

Die Idee zu dem Buch hatte ich schon vor ungefähr vier Jahren. Die Inspiration durch die deutsche Romantik ist dabei ganz klar, zumal ich da im Buch auch einiges zitiere. Wenn man diesen Ansatz weiter denkt, und den Schatten – wie etwa in Chamissos Schlehmil – mit der Seele gleichsetzt, von dieser ausgeht und sich dann ein bisschen in der Mythologie umschaut, entdeckt man einiges an Schatten. In der ägyptischen Mythologie etwa gibt es Ammit, eine Nilpferdgottheit, die den Schatten Verstorbener als Sinnbild ihrer Seele frisst.
Der Schatten, begleitet den Menschen. Immer! Mann kann ihn nicht beeinflussen, da er theoretisch nur den Naturgesetzen folgt. Was aber, wenn er das nicht müsste? Wenn der Schatten mehr wäre? Etwa das kollektive Unterbewusstsein. Wenn der Mensch stirbt, verschwindet sein Schatten, geht in den Nimbus ein, mischt sich mit allen anderen Schatten und heftet sich dann, wenn ein neues Kind geboren wird, als neuer Schatten an seinen Fuss. Das würde bedeuten, dass in einem Schatten alle Schatten enthalten sind, die jemals waren. In deinem Schatten ist eine Ahnung vom Schatten Napoleons, vom Schatten Caesars. Und wenn man die Sprache seines Schattens verstehen würde, hätte man das gesamte Wissen der Welt zu Hand.

Eine faszinierende Idee!

Und da gibt es noch weit mehr Inspirierendes: Bei C. G. Jung etwa ist der Schatten die dunkle Seite unseres Selbst, die wir annehmen müssen, um ganz zu werden. Diese Gedanken fliessen alle in den Schattenschnitzer ein.
Und am Ende des Buches führen die philosophischen und mythologischen Fäden zusammen, was man man allerdings nicht zwangsweise mit bekommt. Zumal schlussendlich auch noch etwas herauskommt, dass wirklich nur der aufmerksame Leser mitbekommt.

Dann ist ja gut, dass ich noch nicht soweit damit bin!

(Grinsen) Da ist ein kleiner Twist drin, den ich allerdings nur verrate, wenn du mir dein Feedback zu dem Buch mailst.
Aber was die Inspiration angeht: die Ideen kommen wirklich von überall her. Wir haben zum Beispiel seit sechs Jahren unsere Lesebühne in Berlin. Das Stirnhirnhinterzimmer, und allein das ist immer Assoziationsreigen. Wir haben dort meist ein einziges Wort als Thema und da kommen dann sehr seltsame Sachen bei raus. Zum Beispiel „Einhorn-Herpes“ oder „Krokantblattern“.  „Einhorn- Herpes“ habe ich allerdings sehr schön umgangen mit Hilfe eines Piratengedicht. „Die Ballade vom keinbeinigen Captain Clagg“:
Claggs Schiff ist die Einhorn. Und er fährt dann irgendwann Damit zur Hölle.
Bald roch auf der Einhorn herb es,
das war der höllische Schwefelgestank.
An Bord kam hinkend der Teufel
und man spasste, man lachte und trank.
Auf diese Weise schummelt man dann halt im Hinterzimmer auch manchmal. Nur um sich nicht mit Herpes auseinandersetzen zu müssen.

Das ist hin und wieder ja erlaubt.

Ja eben. Aber das ist bei der Buchmesse auch die Schweinerei. Die Kollegen schummeln sich beide auf die Buchmesse und ich muss zwei Stunden alleine Show machen. Der eine Kollege will und muss unbedingt generell hin, während der andere, Herr Koch, mit dem dritten Teil seines Flugechsenepos antritt. Der Drachenflüsterer hin. Hätte ich persönlich schon des Namens wegen nie hätte schreiben wollen. Ich bin halt ein alter Griffelgrantler.
Aber Markolf (Hoffmann), Boris (Koch) und ich sind tatsächlich ein tolles Team. Vor allem weil wir so verschieden sind. Markolf schreibt eher episch, Boris eher Schweinkram und ich bin quasi der literarische Rodeo-Clown. Ich mache meistens das, worauf ich Lust habe. Ich werde das nächste Mal im Stirnhirnhinterzimmer auch insofern tricksen, dass ich mindestens eine der beiden Stunden damit verbringe, meine Kurzfilme zu zeigen. Zumal wir gerade „Malte und Torben, die Waldorftürsteher“ neu gedreht haben. Leider ist mein MacBook ziemlich runter mit dem Strom sonst könnte jetzt noch ein paar Folgen zeigen. Ihr Schweizer und eure blöden Steckdosen. In Zürich hatte ich noch einen Adapter…
Monika: Ich bin gestern von Berlin zurückgekehrt und dachte, warum habt ihr da andere Steckdosen?!
Ja, da leiden wir wohl auf beiden Seiten. Allein des Stromes wegen könnte die Schweiz wirklich langsam mal zur EU gehören. Oder gern auch umgekehrt.

Du warst bei Periplaneta, sehe ich gerade.

Oh, bei Periplaneta bin ich immer noch. Was ich bei denen mag, ist dieses Konzept mit Buch und CD. Es gibt da ein paar Sachen von mir, für die dieses Format wie gemacht ist.
Das neueste ist allerdings neue Stirnhirnhinterzimmer-Buch, das gerade bei Ubooks erschienen ist. Bei denen hat sich inzwischen einiges getan. Und das Buch sieht mal richtig gut aus. Bin ich richtig zufrieden mit. Zum Stirnhirnhinterzimmer gibt es übrigens inzwischen schon drei Bücher: Das Stirnhirnhinterzimmer, Weihnachten im Stirnhirnhinterzimmer und eben die Rückkehr ins Stirnhirnhinterzimmer.
Die ersten haben wir noch selbst rausgebracht. Herr Koch hat ja einen zauberhaften Verlag (edition Medusenblut) und ich war seinerzeit auch noch mit einem gesegnet. Inzwischen habe der Verlegertätigkeit jedoch entsagt. Mit der Zeit die man da reinsteckt, lässt sich auch vergnüglicherer Unsinn machen. Ich habe keine wirkliche Lust auf Verlagsarbeit.

Das ist auch extrem zeitraubende Arbeit.

Oh ja. Da möchte ich doch lieber schreiben und lesen. Das ist alles. Zumal ich damals nicht einmal Werbung für meine Bücher gemacht habe. Da offenbart sich das begrenzte Verlegergenie. Was aber bemerkenswert war, war unsere Vampirreihe. Das Liber Vampirorum. Eine schöne Underground-Vampirreihe. Kürzlich sind dann einige Leute gekommen und meinten: „Schau mal, Twilight, das funktioniert ja richtig, Vampire sind wieder im kommen, leg das Liber Vampirorum doch neu auf.“ Das habe ich allerdings anders gesehen. Zumal ich nicht möchteI, dass Leute meine Bücher kaufen, nur weil irgendwo Vampir drauf steht.
Aber die Geschichten da drin sind schon besonders. Wir haben Vampire in die griechische Mythologie und in Parallelwelten versetzt. Und am Ende haben wir aus einer dieser Stories sogar noch einen Film gemacht. Kevin – Integration eines Mythos. Eine Dokumentation, in welcher das Filmteam dem neunzehnjährigen Vampir Kevin Schmidtke in seinem Alltag folgt…

Bild: Janosch Tröhler (Lesung vom 2. Oktober 2011, Werk21, Zürich)